Vortrags- und Diskussionsveranstaltung
mit Werner Rügemer, Köln
15. Juni 2013
„Der Kapitalismus“ steht unter Anklage. Aber wissen seine Kritiker, wie er in mancher Hinsicht heute aussieht? Die deutschen Finanzakteure haben Verflechtungen in der heimischen Volkswirtschaft aufgelöst. Sie haben mehr Beteiligungen weltweit neu erworben und Niederlassungen aufgebaut. Sie sind wieder untereinander vernetzt, nun aber auf planetarischer Ebene. Anstelle von Deutschland AG, Frankreich AG, USA AG besteht heute ein hierarchisch gegliedertes System, das an der Spitze von den systemrelevanten Kapitalgruppen geführt und aus den USA dominiert wird.
Die Deutsche Bank, heute eher eine Vorfeldorganisation angelsächsischer Investoren,hat beispielsweise 1064 Tochter- und Zweckgesellschaften, assoziierte Unternehmen und Beteiligungen auf 29 Finanzoasen verteilt. Hier kann man hinter den Kulissen spekulieren, Kunden und Geschäftspartner täuschen, Steuern hinterziehen, Insidergeschäfte abwickeln. Dieses Schattenbanksystem (shadow banking), eine professionelle, okkulte Parallelstruktur, gehört heute zur Standardausstattung der Finanzakteure und Konzerne sowie ihrer Eigentümer. Nehmen wir den Finanzgiganten Blackrock (Schwarzer Fels), den „größten Vermögensverwalter der Welt“ mit operativem Hauptsitz in New York und juristischem Sitz in Delaware. Er ist weltweit führend im Hochfrequenzhandel, wo kleinste Unterschiede zwischen den Wertpapieren an den Börsen der Welt für Käufe und Verkäufe im Nanosekundenbereich genutzt werden. Er betreibt den größten „dark pool“ für außerbörsliche Transaktionen. Ab 500 Millionen aufwärts können Konzerne, reiche Unternehmerclans, Versicherungen, Banken, Pensionsfonds dem Vermögensverwalter Blackrock Kapitalvermögen zur Vermehrung anvertrauen. Aber wem gehört Blackrock? Die Zahl seiner Aktionäre ist ungewöhnlich gering. Von den 679 sind die wichtigsten: Pittsburg National Company, sodann die norwegische Zentralbank sowie die Hedgefonds Wellington, Capital Group, Vanguard und State Street.
Werner Rügemer referierte bereits im Mai 2012 im Kölner Freidenker-Zentrum zum Thema seines Buches „Ratingagenturen. Einblicke in die Kapitalmacht der Gegenwart“. Jetzt stellt er seine Recherchen zur Auflösung der „Deutschland AG“ vor. Er geht der Frage nach, ob man noch vom „deutschen Kapital“ sprechen kann, das z.B. die Europäische Union beherrscht. Wer oder was herrscht da eigentlich genau – soweit wir das bisher überhaupt wissen können?